Ergebnisse des Untersuchungsausschuss Hanau

In Plenardebatte am 5. Dezember wurde der Abschlussbericht des Untersuchungssauschusses zum rassistischen Terroranschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau besprochen. Im Vorwort des Abschlussberichtes bittet der Untersuchungsausschuss die Angehörigen und Überlebenden um Entschuldigung. Das kann zwar die Tat nicht ungeschehen machen und den Angehörigen den Schmerz nicht nehmen. Wichtig war für uns GRÜNEN aber, diese Entschuldigung festzuhalten, denn der Staat hat es nicht geschafft, diese neun Menschen davor zu schützen, von einem Rassisten mitten aus ihrem Leben gerissen zu werden.

Der Anschlag mag zwar die Tat eines Einzelnen gewesen sein. Sie fand aber vor dem Hintergrund anderer rechtsextremer Gewalttaten in der Bundesrepublik statt. Die Morde des NSU, der Angriff auf Ahmed I., der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag von Halle und der Anschlag von Hanau verdeutlichen die Kontinuität rechten Terrors in Deutschland und Hessen. Durch diese perfiden Morde sind Fragen aufgeworfen worden, die das Vertrauen in unseren Staat auf eine Probe stellen.

Im Abschlussbericht sind viele Feststellungen getroffen, die ein fehlerhaftes Handeln der hessischen Behörden offenlegen. Diese benennen wir deutlich. Ein anderes Handeln der zuständigen Behörden hätte aus unserer Sicht die Durchführung der Tat erschweren oder den Ablauf der Tat verändern können. Hätte der Täter keinen Waffenschein gehabt, wäre es für ihn schwieriger gewesen, an Waffen zu kommen. Hätte der Notruf der Situation angemessen funktioniert, wäre ein Einwirken auf Vili Viorel Păun möglich gewesen und er könnte möglicherweise noch leben. Wäre der Notausgang in der Vergangenheit nicht regelmäßig verschlossen gewesen und wäre sein ordnungsgemäßer Zustand durchgesetzt worden, wären die Opfer nicht davon ausgegangen, dass er verschlossen ist und hätten eine Chance gehabt, zu fliehen. Wäre mit den Angehörigen der Opfer angemessen umgegangen worden, hätte eine zusätzliche Traumatisierung und weitere Zweifel am Funktionieren staatlicher Institutionen vermieden werden können.

Waffenschein:

Die Waffenbehörde ist der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzung für eine Waffenbesitzkarte nicht vollumfänglich nachgekommen. Die Waffenbehörde des Main-Kinzig-Kreises ging fälschlicherweise während des gesamten untersuchten Zeitraumes von der fortgesetzten eigenen Zuständigkeit für die Bearbeitung von Waffenerlaubnissen des Täters aus, obwohl eigentlich München zuständig gewesen wäre, da er hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Auch die Aktenführung der Waffenbehörde ist lückenhaft. So wurden zwar die regelhaften Überprüfungen vorgenommen, aber die Ergebnisse nicht in der Akte festgehalten. Die Prüfung der ordnungsgemäßen Aufbewahrung der Waffen erfolgte völlig unzureichend. Aus dieser Gesamtsituation ergibt sich, dass die Möglichkeiten zu Kontrollen, der Versagung von Erteilungen oder zum Widerruf von Waffenbesitzberechtigungen des Täters durch die Waffenbehörde nicht ausgeschöpft wurden. Der Abschlussbericht kommt deshalb zum Schluss: „Der Ausschuss stellt fest, dass die Möglichkeit einer Prüfung des Widerrufs der Waffenbesitzkarte und sonstiger Maßnahmen grundsätzlich bestand.“

Die Tatausführung wäre jedenfalls erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gewesen, wenn dem Täter der legale Besitz von Waffen verwehrt worden wäre.

Notruf:

Der Untersuchungsausschuss stellt im Abschlussbericht fest, dass der Notruf der Polizeistation Hanau I nicht dem technischen Standard entsprach, der bereits in den anderen Dienststellen eingeführt war und für die Bewältigung einer solchen Anschlagslage unzureichend war und wegen des nicht vorhandenen Notrufüberlaufs Notrufe nicht entgegengenommen werden wurden/konnten. Der Abschlussbericht benennt deutlich, dass für die Entscheidung, auf Zentralisierung des Notrufs bis zum Bezug des Neubaus zu warten, der damalige Polizeipräsident des Polizeipräsidiums Südosthessen und spätere Landespolizeipräsident Roland Ullmann verantwortlich war.

Es gab im Laufe der Jahre immer wieder Verbesserungsvorschläge zur Organisation des Notrufs der Polizeistation Hanau I, die aus (Kosten-) Gründen im Polizeipräsidium Südosthessen oder des Präsidiums für Technik Logistik und Verwaltung (heute HPT) abgelehnt wurden. Der damalige Polizeipräsident des Polizeipräsidiums Südosthessen Heinrich Bernhardt entschied 2006, dass die ihm gegenüber geäußerten Bedenken und Belastungen zum Notruf kein Anlass für eine Veränderung seien.

Im Hessischen Polizeipräsidium für Technik wurde bereits im Jahr 2017 erkannt, dass im Anschlagsfall die bestehenden Notrufstrukturen nicht ausreichend sein könnten. Daher wurde in der Folge der sogenannte Alarmbutton im Anschlagsfall in Hessen entwickelt und im Jahr 2020 umgesetzt. Für Hanau unterblieb eine Veränderung des Notrufsystems, da der Neubau abgewartet werden sollte. Daraus hätte der Schluss gezogen werden müssen, dass die Notrufstrukturen im Bereich des Polizeipräsidiums Südosthessen nicht ausreichend sind und eine Zwischenlösung gefunden hätte werden müssen.

Zu Vili Viorel Paun: Soweit der getötete Vili-Viorel Paun einen Notrufdisponenten rechtzeitig erreicht hätte und bei einem optimalen Gesprächsverlauf hätte Vili-Viorel Paun von der weiteren Verfolgung abgesehen und vermutlich überlebt. Da dies aber Annahmen sind, lässt sich die Frage letztendlich nicht mit Sicherheit beantworten, ob ein funktionierender Notruf sein Leben gerettet hätte. Ob die Dauer des Telefonats ausgereicht hätte, um den Geschehensablauf zu beeinflussen, vermag der Ausschuss trotz umfangreicher Beweiserhebungen nicht festzustellen, da zwischen Vili-Viorel Pauns erstem Anrufversuch und den tödlichen Schüssen maximal zwei bis drei Minuten lagen.

Notausgang:

Für den Untersuchungsausschuss steht fest, dass der Notausgang in der Tatnacht verschlossen war und die anwesenden Gäste auch aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit davon ausgingen. Das Wissen um den verschlossenen Notausgang hatte auch Auswirkungen auf das Fluchtverhalten der anwesenden Gäste. Aus der Sicht der Opfer war es folgerichtig, sich am Fluchtverhalten der anderen Anwesenden zu orientieren und hinter den Tresen in Richtung des Lagerraumes der Bar zu fliehen, in der Hoffnung, dass dieser sich öffnen lasse.

Der Notausgang der „Arena Bar“ war bereits in den Jahren vor der Tat regelmäßig verschlossen war. Seitens der hessischen Behörden wurde dies schon bei mindestens drei Kontrollen in den Jahren 2013, 2016 und 2017 festgestellt. Sowohl das Ordnungsamt als auch die Bauaufsicht der Stadt Hanau waren informiert, ohne dass die zwingend notwendigen ordnungsrechtlichen Maßnahmen eingeleitet oder weitere strengere Prüfungen durchgeführt wurden. Die Verantwortung für eine verschlossene Notausgangstür liegt jedoch in erster Linie beim Betreiber. Gleichwohl stellt der Ausschuss fest, dass die Stadt Hanau vielfache Hinweise auf den verschlossenen Notausgang ignoriert und so ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern im Hinblick auf die bauordnungsrechtlichen Vorgaben vernachlässigt hat.

Der Untersuchungsausschuss hat auch festgestellt, dass sich keine Anhaltspunkte für eine Zusammenarbeit oder Absprache zwischen dem Betreiber der „Arena Bar“ und den hessischen Sicherheits- und Ordnungsbehörden ergaben.

Angehörige der Opfer:

Der Untersuchungsausschuss stellt fest, dass die vorhandenen, hohen polizeilichen Standards im Umgang mit Überlebenden und Angehörigen nicht durchgängig eingehalten wurden.

Die Überbringung der Todesnachricht durch Verlesen der Namen der Opfer wurde von vielen Angehörigen verständlicherweise als unangemessen empfunden. Eine Überbringung der Todesnachricht in persönlichen Einzelgesprächen wäre angebracht gewesen. Auch aus Sicht der eingesetzten Polizeikräfte war die Turnhalle zur Überbringung der Todesnachricht ungeeignet. Räume für die Trennung der Opferfamilien und zur Durchführung von Einzelgesprächen fehlten in der Nacht.

Die Angehörigen fühlten sich häufig mit ihren Fragen alleine gelassen. Die Vielzahl an möglichen Ansprechpartnerinnen und -partnern sowie anderweitiger Anlaufstellen wurde von Angehörigen und Überlebenden einhellig kritisiert. Keine der Behörden schien sich für die Kommunikation mit den Angehörigen in der Verantwortung zu sehen. Angebote wurde zu spät gemacht. Während des Untersuchungsausschusses kam raus, dass die Frankfurter Rechtsmedizin eine Möglichkeit zur Verabschiedung von den Opfer für die Angehörigen vorbereitet und angeboten hat, dieses Angebot die Angehörigen aber nie erreicht hat.

Als besonders problematisch ist hervorzuheben, wie die Ansprachen gegenüber einigen Angehörigen und Überlebenden hinsichtlich der Rückkehr des Vaters des Täters durchgeführt worden sind. Da zu keinem Zeitpunkt von den Angehörigen irgendeine Gefahr ausging, hätte hier von der Polizei ein anderer Ansatz gewählt werden müssen. Die Angehörigen hätten auf ein mögliches Zusammentreffen mit dem Vater des Täters im persönlichen Gespräch und mit der notwendigen Sensibilität vorbereitet werden müssen, um eine weitere Traumatisierung zu verhindern. Die Rückkehr des Vaters in sein Haus und damit in die Nachbarschaft ist bis heute für die Angehörigen schwer zu ertragen.


Rede von Vanessa Gronemann zum Abschlussbericht

Vanessa Gronemann (Grüne): „Wir können den Angehörigen der Opfer den Schmerz nicht nehmen“ – Video: | hessenschau.de | Videos aus dem Landtag


Wir bedanken uns nach Abschluss des Untersuchungsausschusses auch bei den Angehörigen und Überlebenden. Mit diesem Untersuchungsausschuss haben wir ihnen eine Menge zugemutet. Aber trotz ihres Schmerzes haben sie die Aufklärung dieser Tat unbeirrt vorangetrieben und vor allem dafür gesorgt, dass die Namen ihrer Liebsten nicht vergessen werden.