Wissenschaftsinfos September 2020

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AUS DEM LANDTAG: PANDEMIEBEWÄLTIGUNG UND QSL-GESETZ

Während der eigentlich stattfindenden parlamentarischen Sommerpause hat der Haushaltsauschuss des Landtags in seiner Sondersitzung dem ersten Finanzpaket aus dem Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz zugestimmt. Aus dem Bereich des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst hat der Ausschuss für den Bereich Hochschule insgesamt 26,7 Millionen Euro bewilligt, die sich wie folgt verteilen:

  • 12 Millionen Euro zusätzlich für die Hessischen Studierendenwerke
  • 2,3 Millionen Euro zusätzlich für die Ausweitung der digitalen Infrastruktur an Hochschulen
  • 4,3 Millionen Euro für das Pandemie-Netzwerk unter den hessischen Unikliniken für die Forschung zu SARS-CoV-2
  • 2 Millionen Euro/jährlich bis 2024 für den neuen Fonds „Hessen Horizon“ für mehr erfolgreiche EU-Forschungsanträge als konjunkturelle Maßnahme

Im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst fand Ende August die öffentliche Anhörung[1] zum QSL-Gesetzentwurf[2] statt. Einigkeit bestand bei den Anzuhörenden in der positiven Bewertung, die Mittel in die Grundfinanzierung der Hochschulen zu überführen und damit Planungssicherheit zu schaffen, unbefristete Beschäftigung auszuweiten und Bürokratie abzubauen. Ebenfalls begrüßt wird die neue jährliche Steigerung der Mittel anhand der Steigerungen im Hochschulpakt, die für diese Laufzeit 4% jährlich beträgt.

Unterschiedliche Auffassungen hatten die Anzuhörenden über die Höhe der Mittel, die zukünftig von den Studienkommissionen in Nachfolge der QSL-Kommissionen vergeben werden sollen. Während die Studierenden weiterhin alle Mittel in den paritätischen Kommissionen vergeben wollen, fordern die Hochschulleitungen, nur 10% der Mittel über die Kommissionen zu vergeben. Unterschiedliche Vorschläge wurden auch zur Ausgestaltung des Erlasses der QSL-Satzung und des Entscheidungskompetenzverhältnisses zwischen Präsidium und Kommission gemacht.

Die Anhörung wird aktuell ausgewertet und die 2. Lesung des Gesetzes ist für das nächste Plenum Ende September vorgesehen.

THEMA: SOMMERTOUR ZU NEUER GENTECHNIK

Am 10. Juni 2020 habe ich gemeinsam mit Parteikolleg*innen aus der Wissenschaftspolitik einen Debattenbeitrag zum Grünen Grundsatzprogrammprozess mit dem Titel „Neue Zeiten, neue Antworten: Gentechnikrecht zeitgemäß regulieren“[3] veröffentlicht. In dem Papier möchten wir darauf aufmerksam machen, dass neue Technologien in der Gentechnik unweigerlich dazu führen, dass diese neu bewertet und Gesetze angepasst werden müssen. Dies ist ein wissenschaftliches, aber auch ein politisches Erfordernis, um Antworten auf aktuell drängende Fragen, wie Agrarwirtschaft in Zeiten des Klimawandels, nachhaltige und insektenfreundliche Landwirtschaft, sowie effiziente Flächennutzung zu finden. Dafür braucht es einen Paradigmenwechsel in der Regulierung: Weg von der Prozessbewertung und hin zu einer Ergebnisbewertung, die die Produktsicherheit erhöht und die Risikobewertung für Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Einen Vorschlag[4] dazu haben die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und die Deutsche Forschungsgemeinschaft  in einer gemeinsamen Stellungnahme vorgelegt.

Die aktuelle Pandemie zeigt, wie unerlässlich Wissenschaftlichkeit, Wissenschaftskommunikation und Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft sind, um Herausforderungen anzugehen. Verantwortliche Politik braucht für Risiko- und Folgenabschätzung eine faktenbasierte Grundlage – auch beim Thema Gentechnik. Um den Dialog zwischen Politik und Wissenschaft in Hessen voranzubringen, habe ich in der parlamentarischen Sommerpause vier Institute in Hessen besucht, die die CRISPR/Cas Technologie im Rahmen ihrer Forschung einsetzen.

Die ersten beiden Besuche gingen an die Hochschule Geisenheim und die Universität Gießen, die sich mit Pflanzenzüchtung beschäftigten und in ihren Laboren CRISPER/Cas anwenden.

Prof. Dr. Max-Bernhard Schröder vom Institut für molekulare Pflanzenwissenschaften der Hochschule Geisenheim arbeitet für seine Forschung aktuellen mit seinen Kolleg*innen aus dem Institut für Obstbau der Hochschule zusammen. Der Obstbau hat die Besonderheit, dass das konventionelle Züchten neuer Sorten durch Kreuzung wesentlich länger dauert als im Gemüse- oder Getreideanbau. Das Erkenntnisinteresse des Teams liegt in der funktionellen Charakterisierung von Kandidatengenen, welche anhand von u.a. durch CRISPER/CAS veränderten Transformationslinien erfolgt. Die Genschere ist hier ein Werkzeug, um die Natur und natürliche Mutationen besser zu verstehen. Dieses Wissen zum Nutzen der Landwirte mit regionalen Züchtern in die Praxis umzusetzen, ist durch die aktuelle Regulierung, die keine Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen erlaubt, nicht möglich.

Prof. Dr. Karl-Heinz Kogel vom Institut für Phytopathologie der Justus-Liebig-Universität Gießen nutzt CRISPR/Cas als Werkzeug zur Erforschung von umweltfreundlicheren Pflanzenschutzmitteln und Pflanzencharakteristiken. Der Eintrag an Pflanzenschutzmitteln in die Umwelt entsteht beim Getreideanbau. Prof. Kogel und sein Team erforschen deshalb, wie sich mittels neuartiger RNA-Moleküle mit antimikrobieller Aktivität Pflanzenschutz auf „natürlichem“ Wege bewerkstelligen lässt. Das Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, dass die neue Gentechnik andere Fragestellungen erlaubt, als die klassische Gentechnik, die von der Agrarindustrie dazu genutzt wurde, Kulturpflanzen resistent gegen Unkrautvernichter zu machen und in der Konsequenz zu mehr Chemie auf dem Acker geführt hat.

Um die öffentliche Wahrnehmung von Gentechnik ging es auch bei einer offenen Runde mit den Doktorand*innen des Instituts für Phytopathologie. Diese beklagten die Unwissenheit über Gentechnik in der politischen Auseinandersetzung und kritisierten den Sprachgebrauch und die Bilder, die in Bezug auf Gentechnik verwendet werden. Dadurch würden Befürchtungen in der Bevölkerung geschürt, die wissenschaftlich widerlegt seien. Sie wünschten sich einen stärkeren Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft für eine sachlichere Debatte. 

Durch den Einsatz von Genscheren zur Züchtung von Pflanzensorten werden die Probleme der Agrarindustrie nicht alleine gelöst. Doch angesichts der Herausforderungen ist es relevant, das Potential der Genschere für die nötige Agrarwende zu betrachten. Die aktuellen Regulierungen zu genetisch veränderten Organismen (GVO), wie sie vom EuGH entschieden wurden, sind nicht nur argumentativ inkonsistent, sondern fördern auf Grund der aufwändigen Herstellungs- und Zulassungsverfahren besonders Monopolstrukturen.

Meine beiden weiteren Stationen zur Anwendung der neuen Gentechnik im medizinischen Bereich brachten mich nach Frankfurt und Darmstadt.

Am Institut für Biochemie II der Goethe Universität habe ich für ein Gespräch Dr. Manuel Kaulich, Leiter des CRISPR/Cas Screening Center (FCSC), getroffen. Mit seinem Kollegen Dr. Andreas Ernst hat er eine Methode entwickelt, um an einem Genom gleichzeitig gezielt mehrere Gene mittels CRISPER/CAS anzusteuern. Dies ermöglicht beispielsweise herauszufinden, welche Gene für das Überleben von Krebszellen ursächlich sind. Die Methode der Arbeitsgruppe ist stark gefragt. Deshalb wurde das FCSC als Einrichtung der Universität gegründet, um die zahlreichen Forschungsprojekte zu bündeln. Während sich die bisherigen Forschungsprojekte mit dem Verständnis der Krebszellen beschäftigen, sollen als nächstes therapeutische Fragestellungen verfolgt werden. Daneben hat die Goethe-Universität über Ihre Technologietransfer-Tochter die Methode zum Patent angemeldet und darauf aufbauend das Start-up Vivlion GmbH ausgegründet. Der Besuch verdeutlichte, dass die Grundlagenforschung der roten Gentechnik durch CRISPER/CAS in einem engen Zusammenhang mit der klinischen und therapeutischen Anwendung steht.

Mit ähnlichen Fragestellungen, auch beispielsweise in der Krebstherapie, beschäftigt sich das CRISPR Labor von Merck in Darmstadt. Das Labor liefert dabei Analysen für die internen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Merck. Die Besonderheit des Labors ist der Aufbau einer eigenen Zelldatenbank, die sowohl in der Pharmazie- als auch Kosmetikindustrie zum Einsatz kommt. Hierdurch können insbesondere Tierversuche ersetzt werden. Für die Pharmaindustrie ist die neue Gentechnik gerade deshalb von großem Interesse, um die Grundlagenforschung für jahrzehntelange Medikamentenentwicklung zu beschleunigen. Doch die Wissenschaftler*innen dämpften auch Erwartungen: Der Prozess vom Auftauen der Zelle aus der Datenbank, über den Einsatz der Genschere bis zur Kultivierung neuer Zellen und der Sequenzierung dauert, wenn alles glatt läuft, 5 bis 6 Monate. Der Prozess ist Teil der Grundlagenforschung, an die der lange Weg der Medikamentenentwicklung anschließt.


[1]          Unterlagen der Anhörung: http://starweb.hessen.de/cache/AV/20/WKA/WKA-AV-016-T1.pdf, http://starweb.hessen.de/cache/AV/20/WKA/WKA-AV-016-T2.pdf, http://starweb.hessen.de/cache/AV/20/WKA/WKA-AV-016-T3.pdf

[2]          http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/6/02786.pdf

[3]          https://www.gruene.de/artikel/neue-zeiten-neue-antworten-gentechnikrecht-zeitgemaess-regulieren

[4]          https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2019_Stellungnahme_Genomeditierte_Pflanzen_web.pdf

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