Rede zur Chancengerechtigkeit und Vielfalt an Hessischen Hochschulen

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Rund 70 % der Studierenden haben einen Nebenjob.6 % der Studierenden haben Kinder. Schätzungsweise 5 bis 10 % der Studierenden pflegen Angehörige. Rund 10 % internationale Studierende sind an unseren Hochschulen. 2,2 % der Studierenden haben einen Hochschulzugang mit beruflicher Qualifikation. Die Realität ist, unsere Studierenden sind vielfältig. Sie haben vielfältige Biografien und damit auch die unterschiedlichsten Bildungsbiografien. Das ist gut so; denn Hessen braucht alle klugen und kreativen Köpfe. Damit jeder und jede seinen oder ihren Weg gehen kann, müssen die Türen zu unseren Bildungsinstitutionen allen offen stehen.

Dass akademische und berufliche Bildung gleichwertig sind, muss ein Versprechen werden, das gilt. Das Scheitern an einem Abschluss müssen wir zu einer neuen Chance werden lassen. Wir brauchen in allen Bereichen Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven. Die Menschen brauchen selbst unterschiedliche Perspektiven, um sich in einer sich schneller wandelnden Gesellschaft breit aufzustellen. Die politischen Aufgaben dafür sind klar. Wir brauchen ein offenes Bildungssystem, das ermöglicht, seinen eigenen Weg zu gehen, und wir brauchen eine hohe Qualität, um auf diesem Weg zu fördern, zu unterstützen, damit das Studium erfolgreich gelingt.

Ich möchte Ihnen mit zwei Beispielen veranschaulichen, wie wir das in Hessen erfolgreich tun. Mit dem Programm „Hohe Qualität in Studium und Lehre, gute Rahmenbedingungen des Studiums“, kurz QuiS, fördern wir mit 125 Millionen € ein chancengerechtes Studium. Im Vergleich zum letzten Hochschulpakt wurden die Mittel von 2 Millionen € auf im Schnitt 25 Millionen € erhöht – von 2 auf 25 Millionen €. Jede Hochschule konnte ein QuiSProjekt einwerben. Zusätzliche Projekte werden zudem im Verbund durchgeführt.

Mein Beispiel: Die Universität Marburg schafft mit „UMR divers: Diversität – Orientierung – Studienerfolg“ neue Angebote der Studienorientierung, die Studierenden mit unterschiedlichen Bildungsbiografien auf ihrem Weg von Schule an die Hochschule, während des Studiums bis hin zum erfolgreichen Abschluss fördert und begleitet. Das Teilprojekt „Digitale Studienwahl“ nutzt alle Möglichkeiten der Digitalisierung und stellt mit Videos, Podcasts, interaktiven Workshops und Self-Assessments das breite Studienangebot der Universität Marburg vor.

Ein zweites Teilprojekt, MINT plus, kümmert sich darum, passgenaue Angebote für Studierende der MINT-Fächer anzubieten; denn in diesen Fächern sind die Abbruchsquoten nach wie vor hoch. Das liegt unter anderem daran, dass Vorwissen eine größere Rolle spielt als in anderen Fächern, aber auch daran, dass in großen Vorlesungen, die die MINT-Fächer dominieren, die Förderung einzelner Studierender oft nicht gelingt. MINT plus setzt deshalb Konzepte um, die genau hier ansetzen, beispielsweise mit einer S.o.S., einer Studentischen offenen Sprechstunde, für Physikstudierende oder Tutorien zur Vorbereitung auf Wiederholungsklausuren. In Planung ist auch ein MINT-Lernzentrum. Mitgedacht werden hier immer die heterogene Studierendenschaft, ihre Einstiegsqualifikationen, ihre soziokulturellen Hintergründe und ihre Lebensentwürfe.

Diese beiden Teilprojekte sind sehr gute Beispiele für das, was wir mit QuiS auf den Weg gebracht haben. Viele Konzepte an anderen Hochschulen haben ähnliche Elemente. Sie eint eines: Sie bieten Studierenden mit unterschiedlichen Bildungsbiografien Unterstützung an, ihre Potenziale entfalten zu können.

Die Unterstützung von jungen Menschen bei der Aufnahme eines Studiums, wenn sie die Ersten in ihrer Familie sind, die studieren, ist mir persönlich besonders wichtig. Der Einfluss, den das Elternhaus hat – ein fehlendes finanzielles Sicherheitsnetz, fehlendes Wissen darüber, was ein Studium bedeutet, und das Nichtverstehen von akademischen Gepflogenheiten – wird oft unterschätzt. Noch immer studieren nur 21 von 100 Nichtakademikerkinder, während es 74 von 100 Akademikerkinder tun. Trotzdem sind fast die Hälfte der Studierenden Erstakademikerinnen oder Erstakademiker. Es ist entscheidend, dass wir hier den Studienerfolg verbessern und faire Startbedingungen schaffen.

Seit 2021 fördern wir die Initiative ArbeiterKind mit 200.000 € jährlich. ArbeiterKind hat ehrenamtliche Gruppen in sieben Hochschulstädten in Hessen und bietet zusätzliche Beratung für Studierende und solche, die es vielleicht werden wollen. Mit unseren zusätzlichen Förderungen haben wir unter anderem die Hessentour von ArbeiterKind ermöglicht. Dieses Jahr waren die Ehrenamtlichen – selbst alle Erstakademikerinnen und Erstakademiker – drei Tage lang an Schulen im Vogelsberg unterwegs. Sie haben ihre eigene Geschichte erzählt und Informationsmaterial der umliegenden Hochschulen mitgebracht. Nächstes Jahr wird die Tour in Waldeck-Frankenberg stattfinden. Ich freue mich sehr über dieses Format und das tolle Engagement; denn die Hürden für Schülerinnen und Schüler aus Nichtakademikerfamilien im ländlichen Raum, an eine Hochschule zu gehen, sind leider besonders hoch – allem voran wegen der finanziellen Risiken, die ein meist notwendiger Umzug mit sich bringt. Einblick in den Studienalltag sowie Tipps zu Stipendien oder zur Wohnungssuche nehmen Ängste und ermutigen die jungen Menschen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Neben der individuellen Förderung und Unterstützung brauchen wir ein durchlässiges System, das Orientierung schafft und Wechsel ermöglicht. Hier sind wir in Hessen Vorreiter. Nach einem erfolgreichen Modellversuch haben wir mit der Novelle des Hessischen Hochschulgesetzes den Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte zur Regel gemacht. Wir haben das Teilzeitstudium gestärkt, und wir bauen das Studium der angepassten Geschwindigkeiten auf.

Wer sich mit Promovierenden an den Promotionszentren der Hochschulen für angewandte Wissenschaften unterhält, kommt schnell zur Einsicht, dass das Promotionsrecht für die HAWen der richtige Weg war, um Bildungsgerechtigkeit voranzubringen. Die Biografien an HAWen sind diverser. So sind es die Promotionen an den inzwischen sieben Promotionszentren auch. Vom beruflich qualifizierten Zugang zur Hochschule bis zum Promotionsrecht für HAWen ist unsere Botschaft klar: Unsere Hochschulen sollen allen offen stehen, die lernen wollen.

Mich haben in den letzten Wochen Nachrichten sowohl von Studierenden aus Fachbereichsratssitzungen als auch von Managern aus Hochschulratssitzungen mit Sorgen über die steigenden Energiepreise erreicht. Wir haben von Beginn an in die Hochschulen kommuniziert, dass wir sie mit dieser Situation nicht alleinlassen werden. Mit „Hessen steht zusammen“ tragen wir für Hochschulen die Energiekosten, die sie selbst nicht stemmen können, bis zu einer Höhe von 80 %. Bei den Einsparungszielen unterstützen wir sie mit unserem Sofortprogramm. Damit stellen wir sicher, dass Lehre und Forschung weiter stattfinden können und unsere Erfolge für mehr Bildungsgerechtigkeit, die ich eben genannt habe, nicht hinter der Energiekrise anstehen müssen.

Auch für die Lebensverhältnisse der einzelnen Studierenden übernehmen wir Verantwortung, indem wir die Mittel der Studierendenwerke im nächsten Jahr von 15 auf 20 Millionen € erhöhen. Damit übernehmen wir die Verantwortung für die soziale Infrastruktur, die uns als Land zukommt. Natürlich arbeiten wir als Land daran mit, dass die Hilfen des Bundes für die Studierenden so schnell wie möglich ankommen. Frau Kula hat am Dienstag gefordert, dass endlich – ich zitiere – „ein Turbo beim Ausbau der Wohnheimplätze eingelegt“ wird. Da kann ich nur sagen: Hessen ist bundesweit spitze bei der Zahl der neu geschaffenen Wohnheimplätze. Wir wissen, wir müssen aufholen, und das tun wir auch.

Wir halten in der Krise zusammen, aber eben nicht nur in der Krise. Diese Koalition verfolgt konsequent eine Politik für mehr Bildungsgerechtigkeit. Ein breiter Hochschulzugang und Investitionen in den Studienerfolg stehen für eine Politik, die Menschen die Möglichkeit gibt, sich zu entfalten, ihren Bildungsweg zu gehen, und die Chancengerechtigkeit schafft, da sie soziale und ökonomische Nachteile ausgleicht. Wir stärken eine Hochschule, die sich an die individuellen Bedürfnisse und Lebensrealitäten anpasst; denn wir brauchen alle klugen und kreativen Köpfe in Hessen.

Vielen Dank.

Hier ist das Video zu meiner Rede zu finden