Katastrophaler Hessischer Hochschulpakt 2026 – 2031 gefährdet Wissenschaftsstandort Hessen

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Die Zahlen sind tiefrot. Der Hochschulpakt ist ein Katastrophe für die Hochschulen, für die Wissenschaft und für den Wirtschaftsstandort Hessen. Das sagen nicht nur wir, das sagt unter anderem die IHK Darmstadt, die den Hochschulpakt folgendermaßen kommentiert hat:
„Der wirtschaftliche Erfolg einer Technologieregion wie Südhessen ist ohne ein starkes und funktionierendes Netzwerk an Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Unternehmen schwer vorstellbar. Ohne die Hochschul- und Forschungsinfrastruktur wären wir wahrscheinlich ein komplett anderer Wirtschaftsraum.“
Es macht mich fassungslos, dass Sie denken, mit dem, was Sie da vorgelegt haben, gehe es um verschmerzbare Einsparungen bei ein paar Orchideenfächern. Der Hochschulpakt verpasst dem Industriestandort Hessen einen Dämpfer – und das in wirtschaftlich schweren Zeiten.
An der TU Darmstadt wird gerade geprüft, wie man, unter anderem mit der Schließung von Fachbereichen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, die nötigen 10 % an Ausgaben bis zum Ende des Jahres einsparen kann. Es wird Fachbereiche treffen, die eng mit der südhessischen Industrie verbunden sind. Sie schwächen mit diesem Hochschulpakt den Industriestandort Hessen. Die Goethe-Universität hat entschieden, dass sie für das komplette nächste Jahr eine Stellensperre verhängt: keine neuen Professuren, keine neuen Promovierenden, keine neuen Mitarbeitenden. Die Frankfurt University of Applied Sciences muss eine Stellensperre für die gesamte Paktlaufzeit von sechs Jahren verhängen.

Wissen Sie, was das in einem Wissenschaftssystem heißt, das gesetzlich darauf angelegt ist, dass man innerhalb bestimmter Zeiten den nächsten Karriereschritt erreicht? An den von Stellensperren betroffenen Hochschulen gibt es keine Möglichkeit, eine Promotion zu beginnen oder eine Professur anzutreten. Wer in dieser Zeit seinen Masterabschluss macht oder die maximale Zeit seiner Postdoc-Phase erreicht, der fliegt aus dem Wissenschaftssystem. Stellensperren sind überall schmerzlich; sie bedeuten immer eine höhere Arbeitsbelastung für die verbleibenden Kolleginnen und Kollegen. In der Wissenschaft zerstören sie aber die Karrieren der talentiertesten und klügsten Köpfe in unserem Land. Das ist eine Schande. Es stellt sich die Frage, warum die Einschnitte so dramatisch ausfallen, wenn doch angeblich nur 30 Millionen Euro eingespart werden und Planungssicherheit hergestellt wurde. Die Antwort ist: weil beides eben nicht stimmt. – Die Aussage, dass um 30 Millionen Euro gekürzt wird, bildet die Realität nicht wirklich ab. Wenn wir uns anschauen, was an Hochschulfinanzierung für das Jahr 2025 geplant war – für den Ausbau von Professuren und von Stellen im Mittelbau, für Digitalprogramme und für die Forschung –, und wenn wir uns anschauen, was für das Jahre 2026 noch geplant ist, dann sehen wir: Es fehlt ein dreistelliger Millionenbetrag, es sind fast 300 Millionen Euro zu wenig. Ich will auch daran erinnern, dass Sie im letzten Jahr bei den Beratungen über den Nachtragshaushalt behauptet haben, Sie würden bei den Hochschulen nicht kürzen, obwohl Sie 34 Millionen Euro weggestrichen haben. Das war eine Verdrehung der Tatsachen. Dieses Jahr haben Sie behauptet, dass das von den Hochschulen errechnete Defizit von 1 Milliarde Euro nicht stimme, obwohl die Zahlen auf dem Tisch liegen. Das erklärt auch die dramatisch hohen Einsparungen, die derzeit an den Hochschulen geplant werden. Wenn Sie jetzt gleich sagen werden, all das stimme nicht, dann würde mich interessieren, wie Sie erklären, warum die Einsparungen jetzt so krass ausfallen.

Das können Sie dann gerne nicht nur mir, sondern auch den Fachbereichen beantworten, die gerade an der Erarbeitung von Einsparplänen sitzen. Das können Sie den fast 13.000 Petentinnen und Petenten beantworten, die heute ihre Eingabe dem Landtag übergeben haben. Allein deshalb, weil der Pakt für sechs Jahre unterzeichnet wurde, kann man noch nicht von einer Planungssicherheit sprechen. Planungssicherheit heißt, dass man sich darauf einstellen kann, was kommt. In Ihrem Hochschulpakt brechen aber ab dem nächsten Jahr die Gelder weg. Die Hochschulen konnten eben nicht langfristig planen. Ich ignoriere die Haushaltssituation des Landes nicht. Aber wenn Bildung für Sie wirklich Priorität hätte, dann würden Sie dafür sorgen, dass die strukturellen Veränderungen nicht über Nacht kommen. Wenn man den Hochschulen mehr Zeit für das Durchlaufen eines strategischen Prozesses gäbe, dann wäre das zwar immer noch nicht gut, aber es wäre schaffbar.


Diese Möglichkeit hätten Sie. CDU, SPD und GRÜNE haben im Bund auf die schwierige Finanzsituation in unserem Land reagiert und Spielräume geschaffen. Doch Sie von der Landesregierung nutzen diese Spielräume nicht. Das ist eine politische Entscheidung. Andere Bundesländer machen das. Deshalb fordern wir 100 Millionen Euro noch in diesem Jahr zusätzlich für unsere Hochschulen, um Stellensperren zu vermeiden. Doch weil CDU und SPD in Hessen diese Spielräume eben nicht nutzen wollen, können die Hochschulen diese Kürzungen nicht gestalten, sondern müssen dort streichen, wo zufällig Stellen frei werden. Schauen wir uns den Pakt selbst noch einmal an. Ich will heute gar nicht über die Protokollnotiz der Präsidien sprechen; die spricht für sich. Mir geht es um die Arbeitsbedingungen und die Bildungschancen. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Promovierende, für Postdocs und für administrativtechnische Beschäftigte war ein großes Ziel der letzten Koalition. Der SPD ging damals alles nicht weit genug. Sie wollten den Kodex für gute Arbeit im Hochschulgesetz verankern. Und jetzt? – Von der Einhaltung des Kodexes für gute Arbeit haben Sie sich de facto verabschiedet. Jetzt ist der Kodex nur noch ein grundsätzlicher Leitgedanke, an dem man sich orientieren will. Weniger wäre nichts.


Dabei steht die Landesregierung durch den Tarifabschluss in der schuldrechtlichen Vereinbarung, dass es 1.800 unbefristete Stellen geben soll. Auf die Nachfrage, warum das im Pakt nicht umgesetzt wird, hat der Staatssekretär im Ausschuss sinngemäß gesagt, dass man auf bessere Zeiten dafür warte. Kurz gesagt: Der Hochschulpakt trifft vor allem die Beschäftigten – durch Stellensperren, Kürzungen und durch eine Aushöhlung des Kodexes für gute Arbeit. Die zweiten Leidtragenden werden die Studierenden sein, aber nicht nur wegen der schlechteren Betreuung und der überfüllten Seminare. Die Ausgestaltung von Studium und Lehre soll laut Pakt – das können Sie nachlesen – zukünftig nur noch so weit wie möglich erhalten werden. Was die Finanzierung aller Programme für flexible Studienangebote, die Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung oder eine barrierearme Lehre betrifft, das alles ist ins Sockelbudget überführt worden. Mit einer ausreichenden Finanzierung wäre das auch sinnvoll gewesen, doch nun müssen die Hochschulen dieselben Aufgaben mit einem dreistelligen Millionenbetrag weniger stemmen. Gespart wird also genau dort, wo es um Unterstützung und Teilhabe geht. Bei den Kommunen würde man sagen, das sind die freiwilligen Leistungen, und die fallen eben immer als Erstes weg: Schreibwerkstätten, Tutorien, zusätzliche Mathekurse, Arbeitsräume oder längere Bibliotheksöffnungszeiten.

Die Folge: mehr Studienabbrüche gerade bei denen, die ohnehin unter Druck stehen, weil sie neben dem Studium arbeiten müssen oder zu Hause keinen ruhigen Lernplatz haben. Dabei sind es gerade diese Angebote, die Chancen eröffnen und unsere Demokratie und unser Gemeinwesen zusammenhalten. Wir können es uns weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich leisten, dass junge Menschen ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen. Ich fasse zusammen, was dieser Pakt für Hessen bedeutet: Sie schwächen mit diesem Hochschulpakt den Industriestandort Hessen. Sie zerstören die Karrieren der talentiertesten und klügsten Köpfe. Aufgrund von Stellensperren und einer Aushöhlung des Kodex für gute Arbeit sind die Beschäftigten die Verlierer. Dieser Pakt legt die Axt an Bildungschancen und an ein Aufstiegsversprechen, das essenziell für unsere Gesellschaft ist. Dieser Hochschulpakt zeigt, Bildung und Innovation haben für diese Landesregierung keine Priorität.

Dieser Pakt ist eine Katastrophe.